Shawn Mendes singt heute Nacht für mich. „Please have mercy on my heart!“ Bitte lass mich wieder gut in meiner Einsatzstelle reinfinden. Bitte lass mein Herz nicht an den eigenen Wunden zerbrechen. Bitte lass mich dich nicht vermissen, du Gefühl der Heimat.

Hendrik sitzt in einem alten Bus. Dieser musste schon über Straßen gedüst sein, bevor Hendrik überhaupt ein Gedanke im Kopfe seiner Eltern war. Da der Busfahrer jedes Schlagloch mitnimmt, sackt das Gefährt im vorderen Teil zuerst krachend ab, bis der hintere ebenso lautstark folgt. So hüpft der Bus wie ein riesiger Fußball von Schlagloch zu Schlagloch. Bei jedem Krachen ächzt die Kugel ein bisschen lauter, schiebt sich jedoch Meter für Meter über den unebenen Asphalt Richtung Heimat, Hendriks Heimat. Der Vollmond leuchtet den Weg und scheint die riesige Klapperkiste sicher nach Hause geleiten zu wollen. Alle Wolken hat er verdrängt. Klar, kalt und mächtig streicht sein Licht über die sich endlos erstreckenden Ebenen von Singida. Die einzelnen Blechdächer der Häuser schimmern, wie als wären sie von weißen Schnee bedeckt.

Hendriks Weltwärts FWD hat einen Kippunkt überschritten. Die Uhr tickt nicht mehr aufwärts. Die kommende Zeit wird in seinen Händen zerrinnen. Noch hält er einen Stein, bald wird er zu Sand zerbröseln. Es sind nicht mehr neue Tage, sondern seine Letzten. Der Mond steht an seinem Höhepunkt. Doch Hendrik weiß, hinterm Horizont rekeln sich bereits die ersten deutsche Sonnenstrahlen. Liegt dort dieses von Sagen umwobene Konstrukt, seine Heimat?
Hendrik startete seine Reise in Morogoro. Das Leipziger Missionswerk (LMW) lud zum Zwischenseminar ein. Eine Halbzeitbesprechung, 1300 Kilometer entfernt von Hendriks Spielort. Ein Rückblick auf was lief gut und was war bescheiden. Welche Taktik möchte oder sollte er in Halbzeit zwei verwenden? Welchen Schachzug möchte Hendrik noch spielen?
Wie soll dieses Spiel in 6 Monaten enden? Wirft sich Hendrik am Ende mehr Bälle ins eigene Tor, als in das Gegenüberliegende? Fängt er überhaupt an sein eignes, oder das gegenüberliegende Tor richtig zuzuordenen? Er fühlte sich oft völlig alleine auf dem Feld. Er stand im Mittelkreis und konnte niemand anderen auf dem Spielfeld erblicken. Sein Trikotsatz, bestehend aus blauer Hummel Sporthose mit abgewetzter Acht und buntem Hemd, hat leider nur ihn als Spieler abbekommen. Der Style schreit nach Besonderheit, er symbolisiert gelebtes Homeoffice. Doch Wo, eigentlich noch viel wichtiger, Was ist dieses Büro des Zuhauses sein? Die letzten Monate waren schwer und atemberaubend. Meist fühlte Hendrik diese Emotionen im selben Atemzug. Wo wird diese emotionale Achterbahnfahrt ihr Ende finden?

Hendrik hat die Halbzeitpause genossen, eine Gruppe von jungen Menschen mit ähnlichem Hintergrund kommt zusammen und diskutiert über Konzepte, Kirche, die eigene Rolle innerhalb ihres Fachgebietes.
Es könnte eine Beschreibung von Studierenden sein, unter ihnen hatte er gelebt. Dort lag sein ehemaliges Zuhause!

Herzlich Willkommen Im Modul – Heimat! Wer in Kultur eintaucht, der wird ertrinken! Wie also tauchen, ohne unterzugehen?

Hendrik hat sich nie als Heimat verbunden wahrgenommen. Allerdings war er auch immer nur zuhause. Wie lernt man die Zutaten des Umfeldes zu erkennen und sein eigenes Gericht zu kochen? Wo findet er diese Zutaten? Die Google Frage „Aldi in der Nähe“ war leider nicht hilfreich. „So ein Mist!“, fluchte er. Doch wollte er nicht genau, dass?! Er wollte doch etwas neues Lernen, für ein Jahr die Komfortzone verlassen, für ein Jahr in ein anderes Leben hineinschnuppern. Huch, ist das etwa der Geruch von Döner?
Einer seiner engsten Freunde, geht mit Unsicherheit wie folgt um: „Schau doch WER das alles schon von mir geschafft hat!“ Diese Einstellung passt ebenfalls zu Hendrik. Ist er am Ende ein arrogantes Arschloch, welches im Ausland an seine Grenzen stößt? Der Homeofficestyle passt nicht zum eintauchen. Vielleicht ist er eins, aber diese Frage bringt ihn praktisch doch nicht voran? Doch wie kann er sich eine neue Heimat aufbauen, wenn das Leben nicht bei ihm stattfindet? Er funktioniert nur als Zuschauer, läuft nebenher aber schwimmt nicht mit.

So steht er wieder gedanklich auf dem Bolzplatz. Die Spielregeln sind nicht aufgeschrieben worden. Wie auf jedem guten Freiplatz stehen sie zwischen den Spieler:innen und verändern sich mit jeder neuen Person. Es muss schwer sein mit Hendrik zu spielen. Wenn alle Fußball spielen, und er denkt es sei Handball.
Hendrik hatte stets versucht an seine Zutaten zu kommen. Er hat nach deutschen Utensilien auf einem rwandischen Markt gesucht. Als wäre dies nicht schon unglücklich genug hat er zusätzlich Salz mit Zucker, Knoblauch mit Zwiebeln, Aufdringlichkeit mit ehrlichem Interesse, Gleichgültigkeit mit Liebe verwechselt. Wie soll ein Blinder einen Liebesbrief entziffern können?

Vielen Dank an meine tollen Mitfreiwilligen aus Rwanda, Tansania, Kenia, Eswatini und Uganda. Danke für den Blick durch eure Brillen. Danke für die körperlichen wie gedanklichen Impulse des Leitungsteams.
Ich darf auf ein Spielfeld mit Mitspieler:innen zurückkehren, welche ich vorher nicht sehen konnte. Danke für eine neue Dioptrienstärke meiner Brillengläser. Plötzlich erkennt der Blinder jene Botschaften zwischen den Zeilen des Briefes!

Hendrik wechselt den Artisten zu Conny: “Mein zuhause ist ein Mindset kuckst du!“ Und trotzdem müht sich der Bus in Richtung Heimat. Wo auch immer diese liegen mag. Vielleicht in Deutschland, Rwanda oder auf dem Tansanischen Highway?

Heimat „erschließt sich in der Auseinandersetzung mit der lebensweltlich-kulturellen Umwelt – mit dem Ziel, individuelle Handlungsgewissheiten zu erlangen. So verstanden ist Heimat Lebensmöglichkeit und nicht Herkunftsnachweis. „Heimat also wird nicht länger als Kulisse verstanden, sondern als Lebenszusammenhang, als Element aktiver Auseinandersetzung“ (Bausinger 1980: 21) Quelle: bpb – Montag den 6 März abgerufen um 22 Uhr auf einem tansanischen Highway, mit eingeklemmten knien, einem fettigen Amandazi und brennend heißem Zimt Tee.

Wo liegt deine Heimat? Ich hoffe meine in dem Gerät, welches oberhalb der Schultern auf meinem Hals sitzt zu finden. Auf geht´s alte Knutschkugel, bring mich nach Hause. Die Trillerpfeife ertönt. Die zweite Hälfte beginnt. Hendrik legt den Handball an seinen Fuß.

 

English Version

Shawn Mendes sings to me tonight. „Please have mercy on my heart!“ Please let me find my way back into my outreach job well. Please don’t let my heart break on its own wounds. Please don’t let me miss you, you feeling of home.

Hendrik is sitting in an old bus. This one had to have been roaring over roads before Hendrik was even a thought in his parents‘ minds. Since the bus driver takes every pothole in his stride, the front part of the vehicle sinks crashing down first, until the rear part follows, where Hendrik is sitting. So the bus bounces from pothole to pothole like a giant football. With each crash, the ball groans a little louder but pushes itself meter by a meter over the uneven asphalt towards home, Hendrik’s home. The full moon lights the way and seems to guide the huge rattletrap safely home. It has displaced all clouds. Clear and powerful, its light sweeps across the endless plains of Singida.

Hendrik’s Weltwärts FWD has passed a tipping point. The clock is no longer ticking upwards. The coming time will melt away in his hands. He still holds a stone in his hand, soon it will crumble into sand. These are no longer new days, but his last. The moon is at its peak. But Hendrik knows that the first rays of German sunlight are already lurking behind the horizon. Is that where this construct surrounded by legends lies, his homeland?

Hendrik started his journey in Morogoro. The Leipziger Missionswerk (LMW) invited him to the mid-term seminar. A mid-term meeting, 1300 kilometers away from Hendrik’s playground. A review of what went well and what was modest. What tactics would he like or should he use in half-time two? What move would Hendrik still want to play?

How do you want this game to end in 6 months? Does Hendrik end up throwing more balls into his own goal than the opposite one? Does he even begin to recognize the right goal? Often he felt utterly alone on the field. He stood in the center circle and couldn’t see anyone else on the pitch. His kit, consisting of blue Hummel sports shorts with a scuffed figure eight and a colorful shirt, unfortunately only featured him as a player. The style craves uniqueness; it is home office in action. But what is this home? The last few months have been difficult and breathtaking. Mostly Hendrik felt them in the same breath. Where will this emotional rollercoaster ride find its end?

Hendrik enjoyed the half-time break, a group of young people with similar backgrounds coming together and discussing concepts, church, and their own role within their field.
It could be a description of students, he lived as one of them. There was his former home!

Welcome to the module – Home! If you immerse yourself in culture, you drown! So how to swim without sinking?

Hendrik has never perceived himself as being connected to home. However, he has also only ever been at home. How does one learn to recognize the ingredients of one’s surroundings and cook one’s own dish? Where does he find these ingredients? The Google question „Aldi nearby“ was unfortunately not helpful. „What a bummer!“ he cursed. But didn’t he want exactly that?! After all, he wanted to learn something new, to leave his comfort zone for a year, to get a taste of a different life for a year. Oops, is that the smell of kebab?
One of his closest friends deals with insecurity as follows: „Look WHO has already done all this of me!“ This attitude also suits Hendrik. Does he end up being an arrogant asshole who reaches his limits abroad? The home-office style doesn’t fit the immersion. Maybe he is one, but this question doesn’t practically move him forward after all?! But how can he build a new home when life is not happening with him? He functions only as a spectator, running alongside but not swimming along.

So he is mentally back on the football field. The rules of the game have not been written down. Like on any good outdoor pitch, they are between the players and change with each new person. It must be hard to play with Hendrik. When everyone is playing football and he thinks it’s handball.
Hendrik had always tried to get hold of his ingredients. He looked for German utensils at a Rwandan market. As if this wasn’t unfortunate enough, he also confused salt with sugar, garlic with onions, pushiness with honest interest, and indifference with love. How is a blind man supposed to decipher a love letter?

Many thanks to my great fellow volunteers from Rwanda, Tanzania, Kenya, Eswatini, and Uganda. Thank you for looking through your glasses. Thank you for the physical and mental impulses of the leadership team.
I may return to a playing field with fellow players I could not see before. Thank you for the new diopter strength for my glasses. Suddenly the blind man recognizes those messages between the lines of the letter.

Hendrik changes the artist to Conny: „My home is a mindset, are you looking!“ And yet the bus struggles towards home. Wherever that may be. Maybe in Germany, Rwanda, or on the Tanzanian Highway?

Home „opens up in the confrontation with the life-world-cultural environment – with the aim of attaining individual certainties of action. Understood in this way, home is a possibility of life and not a proof of origin. „Home is thus no longer understood as a backdrop, but as a context of life, as an element of active engagement“ (Bausinger 1980: 21) Source: bpb – Monday 6 March Retrieved 10pm on a Tanzanian highway, with knees jammed, a greasy Amandazi and burning hot cinnamon tea.

Where is your home? I hope to find mine in the device that sits above the shoulders on my neck. Come on old honeypot, take me home. The whistle blows. The second half begins. Hendrik puts the handball on his foot.

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