kiswahili. Eine wunderschöne Sprache, die ich sehr liebe und die mittlerweile oft sogar mein Denken beherrscht.
ich. Nicht mehr Dieselbe. In ambivalenten Gefühlen gefangen.
Fühle mich gleichzeitig unglaublich selbstbewusst, denn ich kann kommunizieren – und eingeschüchtert, denn es gibt doch so viel an Zwischentönen, das mir entgeht.
Fühle mich gleichzeitig wie im Rausch, denn Gespräche erreichen eine deepe Ebene – und ernüchtert, denn so viel bleibt vage und ungesagt, weil mir die Worte fehlen.
Fühle mich gleichzeitig so sehr ich selbst, denn es fühlt sich so echt und richtig an – und fremd, denn ich erkenne mich nicht wieder.
Verhalte mich teilweise ganz anders – nutze andere Laute, Mimik und Gestik ganz selbstverständlich – lache herzlich über Witze, die mir sonst nur ein Augenverdrehen entlocken würden – schweige an Stellen, an denen ich sonst laut wäre und umgekehrt.
Kiswahili macht mich definitiv zu einem anderen Menschen.

Anfang des Jahres hatte ich eine spannende Unterhaltung mit einem Freund – Grüße an dieser Stelle nach BoCity 🙂
Ganz prägnant ist mir diese spannende Aussage in Erinnerung geblieben: „Ich habe mal gelesen, dass mit einer anderen Sprache auch eine andere Persönlichkeit in einem zum Vorschein kommt.“
Dieser Satz lässt mich seitdem nicht mehr los, vermutlich weil ich mich so sehr darin finde.
Doch ist es wirklich die Sprache selbst, die eine andere Seite meines Selbst zum Vorschein bringt?
Oder sind es nicht eher der Wunsch nach Akzeptanz und Zugehörigkeit, die mich in eine Rolle der Anpassung drängen? Oder Erwartungen, die an mich als weiße, privilegierte Europäerin herangetragen werden? Oder meine Angst durch meine Aussagen und mein Verhalten Kolonialismus zu reproduzieren?

Dank zwei Jahren Deutsch bei Frau B. durfte ich mich in der Oberstufe mit extrem spannenden Themen wie der Sapir-Whorf-Hypothese beschäftigen, von denen ich dachte, dass sie mir nach dem Abi nie wieder begegnen werden. Und jetzt, nicht mal ein Jahr später, holt mich genau diese Hypothese wieder ein und interessiert mich tatsächlich sogar wirklich! In dem trockenem Schulstoff, den man eben notgedrungen über sich ergehen lässt (bleibt einem ja auch nichts anderes übrig), liegt plötzlich eine mögliche Antwort auf eine, für mich fast schon existenziell gewordene, Frage der Veränderung meines Selbst.
Die Sapir-Whorf-Hypothese besagt, dass die Sprache eines Menschen sein Denken beeinflusst. In der Ausprägung des linguistischen Relativitätsprinzip wird dem Erleben der Realität eine Abhängigkeit von der Sprache zugeschrieben. Die erlebende Person ordnet demzufolge Reize der Umwelt (Empfindung) in durch die Sprache bedingte Kategorien ein, was je nach Sprache aufgrund von (nicht) vorhandenen Wörtern und grammatikalischen Strukturen zu unterschiedlicher Wahrnehmung führt.
Auch die Wahrnehmungspsychologie stimmt dem zumindest in gewissem Maße zu. Während das Empfinden ein objektiver Prozess der Reizaufnahme durch die Sinnesorgane ist, ist die Wahrnehmung das Produkt der Verarbeitung dieser Reize im Gehirn. Die individuelle Wahrnehmung einer Situation beruht auf der Organisation von Reizen in Schemata und deren Interpretation aufgrund von Prägung, also erlernten Überzeugungen und Erfahrungen. Zudem wird ein Reiz durch den (emotionalen) Kontext, und dadurch entstehende Erwartungen an die Wahrnehmung, entsprechend interpretiert.
Wahrnehmung ist also ein Konstrukt, das individuell verschieden ist und von der Erfahrung und Prägung abhängt, was durchaus auch die Sprache einschließt.

Habe ich mit jeder einzelnen Kiswahili-Vokabel, jeder Begegnung und jedem Gespräch also auch die, in meinem Umfeld verbreiteten, unausgesprochenen, aber immer mitschwingenden Codes aufgesaugt?
Zumindest typische Ausrufe, Veränderungen der Stimmlage, Füllwörter und Laute, die mehr ausdrücken, als sie sagen, kommen mir mittlerweile immer öfter über die Lippen, als hätte ich nie etwas anderes getan.
Verändert der, von der deutschen Grammatik, komplett verschiedene Aufbau der Sprache auch meine Art und Weise der Schemata und die Einordnung von Reizen in diese, wenn ich Kiswahili spreche?
Oder werden aufgrund des anderen Kontextes andere Erwartungen in mir wach, die zu einer abweichenden Wahrnehmung und dadurch auch abweichendem Verhalten zu bisher bekannten Mustern führt?

US-Wissenschaftler haben zudem herausgefunden, dass Sprache und tendenzielle Wertvorstellungen ihrer Sprecher:innen eng verbunden sind und je nach Sprache anderen Werte größere Bedeutung zugemessen wird.  Da die Identität auch von den Erwartungen anderer abhängig ist, kann die tendenzielle Wertvorstellung einer, durch ihre Sprache verbundene, Gruppe dazu führen, dass die Sprache lernende Person in ihrem Verhalten beeinflusst wird.
Außerdem prägen auch die Erfahrungen mit einer Sprache im sozialen Kontext das Agieren der sprechenden Person.

Sind es also die Erwartungen der Menschen um mich herum, die mich verändern?
Oder meine Erfahrungen mit Kiswahili – die vielen herzlichen Momente, ausgiebiges Lachen, gute und ehrliche Gespräche, aber auch manchmal Unverständnis und Unverstandenheit oder Hilflosigkeit – die ein anderes Ich hervorbringen?
Das würde immerhin meine ambivalenten Gefühle und auch Verhaltensweisen erklären, denn in verschiedenen Kontexten, existieren unterschiedliche Erwartungen an mich und meine Kiswahili-Kenntnisse, und auch meine Erfahrungen, die ich in diesen Gruppen gemacht habe sind teilweise sehr gegensätzlich.

Was bleibt sind Fragen, keine eindeutige Antwort, viel Spekulation, aber trotzdem mehr Ordnung in meinen herumschwirrenden Gedanken.
Ich bin nicht das Selbst, das ich vor meiner Zeit in Tansania im Spiegel angeblickt habe. Viele Veränderungen beruhen bestimmt auf Erlebnissen, die ganz unabhängig von Sprache sind. Das Ausbrechen aus Gewohntem, der Schritt in die Unsicherheit, was kommen wird, einfach sein und sich auf Ungewisses voll einzulassen – das führt zu unglaublichem Wachstum.
Und trotzdem ist da Kiswahili, die Sprache, die ich jeden Tag mehr kennen und lieben lerne. Die Sprache, die der Schlüssel zu Gemeinschaft und Zugehörigkeit ist. Die Sprache, die mir so viel an guten Gesprächen und Gedankenanstößen gibt. Die Sprache, die mich unglaublich fordert und fördert.
Kiswahili, die Sprache, die mich verändert.

Quellen:

One Responses

  • Daniela Richter

    Hallo Johanna,
    Ich hoffe, es geht Dir gut und Du kannst nach wie vor auch viele dieser fröhlichen Momente und wertvollen Erfahrungen mit den Einheimischen genießen!
    Leider konnte ich nicht herausfinden, an welcher Stelle Du im Moment eingesetzt bist und wie es Dir dort ergeht.

    Daß die Sprache den Menschen ganz komplex beeinflusst ist ganz sicher richtig.
    Das Umfeld in dem man lebt, färbt unwillkürlich auf einen ab, wie ein Biotop sich auf alle beteiligten Lebewesen auswirkt.
    (deshalb ist sicher auch Hebräer 10,25 so wichtig für uns Christen).

    Auch wenn es vielleicht banal klingt, mir geht es immer wieder mit dem Englischen so. Manche Dinge lassen sich in einer anderen Sprache schlüssiger formulieren. Die vorhandenen Redewendungen oder auch die Gestik zwingen in vorgefertigte Flussbetten, damit Dein Gegenüber wirklich auch die Message bekommt, die Du aussendest.
    Sprache ist auf jeden Fall eine große Bereicherung, und zusätzlich zu all den neuen Lebenserfahrungen, die Du in diesem Jahr sammelst, ist sie ein Schatz, den Dir niemand mehr nehmen kann.

    Ich wünsche Dir weiter eine fröhliche, gesegnete und bewahrte Zeit in Lutindi, dass Du die Dinge, die wichtig sind, dort noch umsetzen kannst und feine Antennen für Gottes Hineinsprechen in Deinen Alltag und Deine nahe Zukunft.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert